Eisenarchitektur

Eisenarchitektur
Eisenarchitektur,
 
Bauwerke, die überwiegend aus Eisen konstruiert sind. Die Eisenarchitektur kennzeichnet den Beginn einer neuen Epoche der Architekturgeschichte, die durch die technischen Entwicklungen als Folge der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert ermöglicht wurde. Brücken, Bahnhofshallen, große Gewächshäuser, Markt- und Ausstellungshallen, Fabriken und Warenhäuser stellten funktionelle und konstruktive Anforderungen, die nur mit den neuen Baumaterialien Gusseisen, Schmiedeeisen und Stahl verwirklicht werden konnten: stützenfreie Überdachungen, große Spannweiten, größere Helligkeit im Inneren (zusammen mit der Verwendung von Glas), Veränderbarkeit der Raumeinteilung, rasche Montage u. a. In Großbritannien wurden für Textilfabriken, v. a. aus Gründen größerer Feuersicherheit, eiserne Gerüste aus Stützen und Trägern innerhalb steinerner Außenwände entwickelt (die Vorläufer des Eisen-, später Stahlskelettbaus). Daneben gab der Brückenbau im Zuge des rasch wachsenden Straßen- und (ab 1830) Schienennetzes entscheidende Impulse. 1775-79 war in Großbritannien mit der Severnbrücke von Coalbrookdale (heute zu Telford) zum ersten Mal eine Bogenkonstruktion aus Gusseisen errichtet worden (heute Teil des Ironbridge Gorge Museum). Später wurden Bogenkonstruktionen als Dachbinder auch im Hochbau verwendet, so in Paris beim Grand Salon des Louvre (1780), beim Théâtre Français (1786), bei den Halles aux blés (1812; F. Brunet, F.-J. Bélanger) und bei der Bibliothek Sainte-Geneviève (1843-50; H. Labrouste), im Industriehallenbau erstmals bei der Gießhalle der Sayner Hütte (im heutigen Bendorf; 1824-30). 1796 begann in den USA mit der Kettenbrücke über den Jacobs Creek in Pennsylvania der moderne Hängebrückenbau; die Menaibrücke über die Menaistraße zur Insel Anglesey, Großbritannien (1819-26; T. Telford), erreichte bereits 180 m Länge.
 
Der entscheidende Durchbruch des Schmiedeeisens gelang mit der aus gewalzten Blechen zusammengenieteten Britanniabrücke ebenfalls über die Menaistraße (1845-50; R. Stephenson). Zu den wichtigsten Beispielen der Eisenarchitektur der Folgezeit gehören im Hochbau das Palmenhaus in Kew Gardens, London (1844-48), die Markthallen in Paris (1852-59; V. Baltard und F.-E. Callet; 1971 abgerissen), die Station Saint Pancras in London (1863-76) und das Warenhaus Bon Marché in Paris (1869-72; Louis-Charles Boileau, G. Eiffel). Mit dem Kristallpalast in London (1851; J. Paxton) wurde die Idee des mehrgeschossigen, rechtwinkligen Skeletts ohne steinerne Außenwände unter Verwendung standardisierter Einzelteile verwirklicht. Der Eisenskelettbau mit nachträglich eingesetztem Mauerwerk kam um 1860 in den USA auf. Bei den Bauten für die Pariser Weltausstellung 1889 (Galerie des Machines, Eiffelturm) bestanden die Träger und Stützen nicht mehr aus Gusseisen, sondern aus Stahl.
 
 
E., hg. v. International Council of Monuments and Sites, ICOMOS, Dt. Nationalkomitee, 2 Bde. (1979-85);
 W. Blaser: Filigran-Architektur. Metall- u. Glaskonstruktion (Basel 1980);
 
Die Rolle des Eisens in der histor. Architektur der 2. Hälfte des 19. Jh., hg. v. W. Blaser: (1982);
 G. Hartung: Eisenkonstruktionen des 19. Jh. (1983);
 
E., bearb. v. U. Kammerer (1986);
 F. Werner u. J. Seidel: Der Eisenbau (1992);
 W. Lorenz: Konstruktion als Kunstwerk. Bauen mit Eisen in Berlin u. Potsdam 1797-1850 (1995).

Universal-Lexikon. 2012.

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